Quantcast
Channel: literary references in illustration – Art & Writing
Viewing all articles
Browse latest Browse all 14

Nächtlicher Brief an einen fernen Freund, zum Glück…

$
0
0

  …

Ich nehme dieses ” Sich in die Welt erzählen” sehr ernst. Das Wort, das mit einem Buchstaben beginnt, der Buchstabe, der in einer Linie beginnt. Die Linie, die tanzt, deren Ausdehnung Zeit bedeutet und die sich mit anderen Linien verbindet zur endlosen Sequenz möglicher Worte, – und die sich alle in der endlosen Bibliothek von Borges befinden, katalogisiert, gebunden, illustriert, wirklich und scheinbar, ohne Ausdehnung, der Anfang und das Ende und der Anfang von allem. Nennen Sie diese Linien DNA, erkennen Sie ihren Schriftzug in der molekularen Struktur der Elemente, finden Sie sie in den Heiligen Schriften – in Verlegenheit eines besseren Begriffes könnten Sie mich als Atheistin mit einer tiefen Liebe zu der einen Geschichte, der Geschichte der Welt, bezeichnen.

Die Endlosigkeit vor Augen können wir doch nur die Metamorphose erkennen und macht nur die Metamorphose Sinn. Und wir können auch nur in der fortgesetzten Metamorphose leben. Wir suchen nach Kohärenz, Bedeutung, Zufriedenheit, aber tatsächlich lebendig sind wir nur im Widerspruch, im Augenblick, in einer Farbe, einem Atem, im Glück. 

Die Möglichkeit des Glücks … Sie fragten, ob es auch ein Glück im Radikalen geben mag, in dem Blutrausch, der wohl jene leitet, die sich derzeit so medienwirksam in die Öffentlichkeit drängen. Und das Glück scheint Ihnen unzuverlässig, wenn es sich bei jenen niederlässt, die grausam handeln, die anderen Leid zufügen. Das Glück, so vermuten Sie, müsse ein schlechter Ratgeber sein, wenn es die Hand zum Guten wie zum Schlechten führen kann.

Und auf diesen Zweifel habe ich zwei Anmerkungen:

Zum einen, dass wir uns immer davor fürchten, dem ähnlich zu sein, den wir am meisten verachten. Weil wir wissen, dass alle Menschen von denselben Gefühlen bestimmt werden, müssen wir erkennen, dass der ganze Horizont menschlichen Handelns auch uns offen steht. Glück ist keine ethische Kategorie, es erlaubt uns nicht, Gut von Böse und Richtig von Falsch zu unterscheiden. Wir müssen in Betracht ziehen, dass auch der grausame Mensch Augenblicke des Glücks kennt und uns damit sehr ähnlich wird.Vielleicht ist der grausame Mensch auch gar nicht von uns zu unterscheiden. 

Zum anderen, dass ich aber bezweifele, dass sich das Glück in der Grausamkeit finden oder herstellen lässt.

Im Glück sind wir verletzlich und offen. Im Glück sind wir selbstlos und erlauben der Welt, durch uns hindurch zu scheinen. Im Glück fürchten wir uns nicht, verteidigen wir uns nicht, verteidigen wir unsere Position im Leben, der sozialen Gemeinschaft und auch unseren Besitz, ideell oder materiell, nicht. Im Glück erlauben wir dem Leben, an unserer Statt Regie zu führen. 

Glück ist kein Sieg. Es ist kein Triumph. Es ist das Licht der Vernunft, das sich in der Welt spiegelt und sich selbst erkennt. 

In seiner Seltenheit, Unbeständigkeit und Unzuverlässigkeit läßt es sich weder planen, noch verdienen oder gar erarbeiten. Es wird nicht verliehen. 

Es gibt dementsprechend keine Theorie des Glücks, kein System, mit dem es sich erklären oder verordnen läßt. Im Gegenteil läßt es sich beobachten, dass es sich entzieht, wenn man sich zu geordnet nähert. Dass es sich verflüchtigt, wenn man es erzwingt. 

Sicher gibt es eine biochemische Beschreibung des Zustandes “Glück”. Wahrscheinlich gibt es Pillen, die dem Glück auf die Sprünge helfen. Obwohl ich bezweifle, dass chemisch induziertes Glück leuchtet. 

Sie sehen, dass sich dieses Argument sehr weit von Ihrem entfernen will. Denn mit aller Entschiedenheit bin ich gewillt zu argumentieren, dass sich die Frage nach dem Sinn nur auf der allerersten Ebene des einzelnen Lebens beantworten läßt und sich darüberhinaus trotz der unzweifelhaften Schönheit des Weiten, des Großen, verliert und sinnlos wird.



Viewing all articles
Browse latest Browse all 14

Latest Images

Trending Articles





Latest Images